Dieser Text ist für Menschen wie mich. Also Geschöpfe, die ohne ein natürliches Bedürfnis nach frischer Luft und Bewegung auf die Welt gekommen sind. Oder für diejenigen, die begriffen haben, dass diese Welt auch prima ohne eigene körperliche Anstrengungen funktioniert.
„Bier kaltstellen ist auch irgendwie Kochen, Fußball gucken auch irgendwie Bewegung.“
Ja, irgendwie schon. Allerdings reichen solche Aktivitäten nicht aus, um bei der Stressbewältigung zu helfen. Gleiches gilt für Kartenspielen, Kartoffelschälen und Schachspielen. Treppen steigen – morgens runter, abends rauf – geht schon eher in die richtige Richtung. Allerdings brauchen wir dafür höchstens mal eine Minute. Hilfreich wären so ca. 40 Stockwerke, dann kämen wir auf die empfohlenen 20–30 Minuten – geht aber verdammt auf die Knie. Und hier in Berlin gibt es solche Bauwerke nicht, dafür aber häufig schon ab zwei Stockwerken einen Fahrstuhl.
Damit Bewegung unser körperliches Verhältnis zum Stress verändert, muss der Bewegungsreiz den Körper belasten, und zwar in dosierter Heftigkeit und Wiederholungsrate. Im Volksmund sagt man dazu: Ausdauersport. Darunter fallen so attraktive und spaßbringende Daseinsformen wie Joggen, Fahrradfahren, Schwimmen und Nordic Walking. Auch ausdauernd betriebenes Training anderer Bewegungs-Sportarten erfüllt diese Funktion ebenso wie Aktivitäten im Fitness-Studio.
Wer es ein wenig genauer wissen will: Der ausdauernde Bewegungsreiz sollte sich im sogenannten sauerstoffgesättigten Bereich befinden (vgl. Aerobes Training). Weil man während des Laufens oder Radelns nur mit aufwändigen (teuren) technischen Apparaturen sein Blut überprüfen kann, sollte man auf folgende Dinge achten:
- Im sauerstoffgesättigten Bereich traben wir, wenn wir ohne Mühe Sieben-Wort-Sätze sprechen können (z.B. „Oh Mann, Laufen macht mir soviel Spaß!“) bzw.
- in dem Tempo unterwegs sind, dass wir „Laufen ohne zu schnaufen“.
- In der Regel liegt dann der Puls zwischen 120 und 140 Schlägen in der Minute.
Natürlich kann man sich auch einen Pulsmesser für schlankes Geld kaufen und dann immer auf die Pulsfrequenz achten. Aber der Rückschluss von Pulsfrequenz auf den sauerstoffgesättigten Bereich ist nicht sehr zuverlässig, weil dieser Zusammenhang ganz individuell ausfällt und sich nur schwer verallgemeinern lässt. Der 7-Wort-Sprechtest ist der bessere Check. Wer aber beim Laufen keine Lust auf Konversation mit sich selber hat, misst den Puls beim 7-Wort-Satz-Sprechen, merkt sich diese Zahl und hält ab dann den Mund. Diesen Vergleich sollte man aber regelmäßig wiederholen – wir sind ja keine Maschine.
Bei regelmäßigem Training kommt es zu wirkungsvollen körperlichen Anpassungsleistungen: Bei der Wahrnehmung eines Stressors werden weniger Stress-Botenstoffe wie z.B. Cortisol ausgeschüttet. Die Beziehung zum Stressor ändert sich also auf der körperlichen Ebene und sekundär auch auf der Ebene kognitiver und psychischer Reaktionen. Wir bleiben aufmerksam, aber insgesamt cooler. Also Ausdauersport ist – und das weiß ja eigentlich auch jeder – in vielerlei Hinsicht körperlich und psychisch eine große Hilfe zu Ausgeglichenheit und Wohlbefinden.
So, und fangen Sie jetzt umgehend an zu laufen? Nein, tun Sie nicht. Und ich auch nicht. Es gibt gute Gründe, es nicht einmal in Erwägung zu ziehen. Vielleicht haben wir gute Vorsätze, aber mehr auch nicht. Erklärungen und Überzeugungsversuche reichen in der Regel nicht, lang eingeübte Verhaltensweisen zu ändern. Raucher können ein Lied davon singen – und diejenigen, die dagegen anpredigen, ebenso.
Gute Gründe, es sein zu lassen, sind für mich: Ich finde sicherlich keine Laufschuhe in der passenden Größe (51). Ich kann die Regelmäßigkeit nicht gewährleisten, da ich beruflich viel unterwegs bin. In meinem Wohnviertel ist die Straßenbeleuchtung eher dunkel und dann brech ich mir im Winter sicherlich am nächsten Bordstein die Haxen. Bei Licht im Sommer können alle sehen, dass ich ein Umfaller bin, und mein Image als lebensfroher „No Sports“-Zigarrenraucher wäre dahin. Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr fällt mir ein…
Natürlich geht es um den Schweinehund, den inneren. Meiner ist gut genährt, versteht mich prächtig und sorgt für einen schonenden Umgang mit den eigenen Ressourcen. Dennoch werde ich anfangen, mit ihm zu verhandeln. Und dann werde ich sehen, was geht – und berichten.